Vereinsausflug 2021

An der Nordseeküste –
Hamburg Guides besuchen Ost-Friesland und Jever

Was ist schöner für einen Gästeführer – von Natur aus neugierig und relativ gesellig – als im Austausch mit Kollegen eine neue Umgebung zu erkunden, Führungen zu erleben und mit den örtlichen Kollegen zu schnacken, am liebsten bei einem guten lokalen Essen? Wenig, und deshalb gibt es das Hamburg Guides Wochenende.

Hamburg Guides unterwegs

Nordwestliche Nordseeküste

Die jährliche Veranstaltung führte dieses Mal in den äußersten Nordwesten Deutschlands: Ost-Friesland und Jever und war schon zwei Jahre her bis in die Finessen vorbereitet von unsere Vorsitzende Gerritje Deterding. Heute beide in Niedersachsen gelegen, war Ost-Friesland früher Teil des freien Frieslands das bis weit in die Niederlande reichte. Jever liegt in der östlichen Ecke der Ost-Friesischen Halbinsel, aber gehörte (unter Anderem) zu Oldenburg. Alles atmet Nordseeküste.

Am Freitag, den 7. November fuhren wir mit unserem Bus morgens in aller Frühe nach Jever, wo unser Hotel war. In der freundlichen Stadt, die viele wegen des Biers kennen, wurden wir nach einem Mittagessen und selbständiger Stadterkundung beim Schloss sehr herzlich empfangen von Dagmar, der Vorsitzenden des Jever Stadtführervereins.

Willkommen zur Kaiserkrönung

Die folgende Führung „Willkommen zur Kaiserkrönung“ würde auch auf einer Schauspielbühne keine schlechte Figur machen. Unsere Hamburger Truppe war Gast auf dem Krönungsfest von Katharina der Großen. Die Zarin aus dem 18. Jahrhundert war aus dem Hause Anhalt-Zerbst, Besitzerin der Herrschaft Jever. Zwei Jeversche Stadtführerinnen verkörperten in passenden Kostümen eine freie friesische reiche Bäuerin und die ebenso wohlhabende Gattin eines Beamten des Herren von Anhalt-Zerbst. In einem wortgewandten Dialog wussten die beiden auf einem Stadtrundgang nicht nur die Geschichte Jevers anschaulich zu machen, sondern sie konnten auch viele Lacher ernten mit ihren spitzfindigen Zankereien und ihrem hervorragenden Schauspiel.

Stadtführung zur Kaiserkrönung

300 Liter Tee und Maria von Jever

Im Schlosscafé wurden in schönem Ambiente und in Gegenwart der drei Jeversche Kolleginnen ostfriesischer Tee serviert (der durchschnittliche Ostfriese trinkt gut 300 Liter Tee pro Jahr), mit ‘n Wulkje und Kluntje und einer himmlischen Kuchenauswahl. Danach wurde auf einer Führung das Schloss selbst erkundet. Die wichtigste Protagonistin in den beiden Führungen war Maria von Jever, genannt Fräulein Maria, die sehr patente Schlossherrin, die in 1532 Jever die Stadtrechte und damit die Unabhängigkeit von Ost-Friesland erwarb und z.B. die erste Lateinschule errichtete. Eine sehr beliebte Frau und nicht die Einzige, die in Ostfriesland an der Macht war. Kein Wunder, dass in dieser Umgebung, hier im Schlossgarten, Katharina die Große als Mädchen Reiten lernte – im Männersitz.

Ostfriesentee

Blaudruckkunst

Jever ist eine der acht Städte in Deutschland, die noch eine Blaudruckerei haben. Diese Kunst, Textilien mit Indigo in einem Batik-ähnlichen Verfahren zu bemalen, ist UNESCO-Kulturerbe. In Jever erhält mit Hilfe von Jahrhunderte alten Druckstöcken die junge Sabrina Schuhmacher diese Tradition aufrecht. Die Modedesignerin erklärte uns alle Ins & Outs rund um „Das blaue Wunder“ und machte das auch anschaulich. Eine sehr interessante Einführung, trotz beunruhigender Gedanken, die man als Gästeführer aus der Krimihauptstadt Hamburg beim Anblick eines 3 Meter tiefen Farbbottichs bekommt…  

Abends schwärmte die Gesellschaft nach Lust und Laune aus in die musikalischen, durchrauchten, gemütlichen oder ökonomischen Gastronomien der Bierstadt.

Und weil man als Gästeführer auch mal erfahren darf, wie es auf organisierten Reisen zugeht (soweit man nicht parallel Reisebegleiter oder sogar Fahrer ist), fuhr der Bus, gelenkt von Kollege Malte Mischlich, morgens knallhart um Punkt 9.00 Uhr wieder los zur Wattenküste.

Leben auf einer Warft

Dort ging es zum Rundwarftendorf Rysum, wo Gästeführerin Doris Voss uns ebenso herzlich und pünktlich empfing wie ihre Jeveraner Kollegin gestern. Rysum liegt auf einer Warftenkuppe, ca. 6 Meter über NN und auf 1 Km. Abstand vom Meer. Die Straßen (‚Lohnen‘) laufen sternförmig nach unten und haben teilweise niederländische Namen. Auf der Kuppe prangen eine Galerieholländer und eine Kirche.

Mahlmaschine auf volle Wucht

Dank des vorbeiradelnden Müllers Holzkämper befinden wir uns in der nächsten Dreiviertelstunde in Krabats Welt von staubendem Mehl, hölzernen Rädern, Knochenarbeit: Gibt es Wind? Dann wird gemahlen! Auch 20 Stunden lang: damals liefen 20 Tonnen Mehl am Tag in die Säcke! Holzkämper erzählt über die 10 Meter langen Flügel, die einen richtig wegschleudern können, wenn man sich falsch auf der Galerie platziert. Wie das meistens endet, wenn man auf den Flügeln in 20-Meterkreisen dreht. Und, was hat das mit den Nummern auf den Mehlpackungen auf sich? Interessant: viele Mühlen in der Gegend hier waren in Frauenhand.

Mühle auf Rysum

Orgel für 12 Kühe

Mit Nachgruseln (nein, nicht über die Müllerinnen) und viele Treppenstufen weiter setzen wir unseren Rysumer Rundgang mit Doris fort. Die Kirche im 700-Einwohner-Dorf ist uralt und prächtig, vor allem nachdem bei der Restaurierung 2012 alte Zeichnungen und komplette versteckte Säulen zum Vorschein kamen. Die Kirche aus dem 12. Jahrhundert hat allerdings noch etwas anderes zu bieten und zwar eine der ältesten Orgeln der Welt, im Jahre 1442 in Groningen erworben. Die Orgel war 12 fette Rinder wert, und es war dann auch sehr gut. Wir haben das große Glück, sie hören zu dürfen: die Organistin spielte uns einige Stücke vor. Die Orgel hat einen schönen tiefen Klang, passend zur Atmosphäre in der ruhigen friesisch-blauen Kirche. Noch mehr Glück haben wir mit einigen unserer musikalischen Gästeführerinnen (ja, über Hamburg Guides können auch musikalische Touren gebucht werden!) die unterstützt von der 579 Jahre alten Orgel und unser ebenso prächtig singenden Rysumer Gästeführerin einige Lieder anstimmen. Eine besondere Erfahrung und vielleicht der Grund, dass später am Tag im Bus alle mit einstimmen bei „Ich bin ein Friesenjung‘ von Otto Waalkes.

Von Hexen und Hebammen

Es war nicht alles schön und christlich, was in Rysum passierte: so wurde gutes Geld verdient an der “Hexen“-Jagd. Der Gutsherr hatte einen Folterkeller, die Bevölkerung belustigte sich und uraltes Heilwissen wurde ausgerottet mit dem Tod der Kräuterfrauen. Trotz alledem brachte diese Gegend die erste Gynäkologin Deutschlands hervor: Hermine Heusler.

Nordseeküste

Für den nächsten Gästeführertag gewappnet, mit Redewendungen wie „Knochenarbeit machen“ (Krabat!) und „Alle Register ziehen“ verlässt unsere gutgelaunte Truppe im roten Reisering-Bus das Dorf hinterm Deich, um mit der ortskundigen Kollegin an der Seite die Nordseeküste entlang zur Fischerstadt Greetsiel zu fahren. Klar, dass man auf so einer Fahrt an einigen Leuchttürmen vorbeikommt, z.B. dem 130 Jahre alten in Campen und dem niedlichsten Leuchtturm Deutschlands, Lükko, der kleine Leuchtturm aus dem Lied von – schon wieder – Ostfriese Otto Waalkes. Und an Kanälen, den Handelswegen des alten Ostfrieslands.

Garnele wie Granaten

Diese Fahrt endet in der Fischerstadt Greetsiel, wo man „Granaten“ (winzige Garnelen) fischt und ein malerischer Fischereihafen mit einem Wald von hölzernen Masten sich neben niederländischen Glockengiebeln befindet. Die niederländischen Bauten sind ein schönes Beispiel von Wiederverwertung, nämlich hergestellt aus Steinen der alten Burg. Eine andere historische Klimamaßnahme: neben dem Verwaltungsgebäude der abgerissenen Burg sind sehr dicht an der Mauer Linden gepflanzt, als Drainagemaßnahme, in einigen 100 Metern Entfernung vom historischen Siel (Wasserablass) aus 1798.

Garnele in Greetsiel

Lepraspalte für ansteckende Kranke

Nach einem Mittagessen aus dem üppigen Angebot an Gastronomie in der Fischerstadt zeigt uns Doris die ehemalige Marienkirche, jetzt reformierte Kirche, und wieder haben wir Glück und treffen den Pastor, der noch einige Infos ergänzen kann über diese evangelisch-reformierte Kirche. Wie in der Kirche in Rysum ist auch hier eine Lepraspalte, wo die Träger dieser ansteckenden Krankheit ihr Heiliges Brot angereicht bekamen. Wieder kann man feststellen – wie öfter auf historischen Rundgängen – dass die Zeiten sich doch ziemlich gebessert haben, auch bezüglich dieses Themas. 

Wir verabschieden uns von Doris und fahren zurück nach Jever. Abends treffen wir uns in einem Restaurant in Altharlingersiel auf ein gemütliches und leckeres Essen mit vier Jeveraner Kolleginnen.

Begegnung mit dem Wettbewerber

Friesland verlief früher bis zur Weser, und in Bremen, an der Weser, ist unser letzter Anlegeplatz auf der Vereinsreise. Bremen ist wunderschön und liegt nur eine Stunde von Hamburg entfernt. Aber die Bremer Kollegin Marie-Louise Krüger (www.kh-stadtfuehrungen-bremen.de) konnte uns so manche Neuigkeiten auf unserem Rundgang vermitteln.

Sanddüne im Moor

Start war die märchenhafte Innenstadt, mit der Statue der Bremer Stadtmusikanten im Bauhausstil, das 600 Jahre alte Rathaus und der Dom, der Modell stand für unseren neuen Hamburger Dom und der an dem Ort steht, wo damals eine 9 Meter hohe Sanddüne aus dem Moor ragte. Um auf dem Trockenen zu bleiben, ist Bremen deshalb, wie Hamburg auch, auf Pfählen gebaut.

Unsere beiden Hansestädte konkurrieren seit dem Mittelalter miteinander und auch jetzt noch mit ihren Häfen, was natürlich immer gut ist für einige freundliche Sticheleien. Außer der Innenstadt besuchten wir unter anderem das farbenfrohe und früher bettelarme Viertel Schnoor, wo Fachwerkhäuser aus dem 13. und 14. Jahrhundert sich wie an einer Schnur aneinanderreihen.  Atemberaubend ist die Böttcherstraße, die zwei Kunstmuseen beherbergt und selbst eine wahre Freilicht-Art-Deco-Ausstellung ist. Das umstrittene Gesamtkunstwerk von den Künstlern Bernhard Hoetger, Alfred Runge, Eduard Scotland und dem Kaufmann Ludwig Roselius überlebte den National-Sozialismus trotz ihrer Modernität.

Auf dem Spaziergang entlang der über die Ufer getretenen Weser ist das an diesem Wochenende im Norden vielfältig wiederkehrende Thema der Hochwasserschutz. Auch Bremen sichert sich in den nächsten Jahren viele Deicherhöhungen.

Nach einem schönem Abschlussessen in der Bremer Innenstadt geht es am Sonntagabend, erfüllt von neuen Eindrücken und Anregungen wieder zurück nach Hamburg.

Text: Anne Hottenhuis
Korrektur: Angelika Franke

Mehr Infos:

Willkommen zur Kaiserkrönung (Kostumierte Stadtführung Jever:) https://www.stadt-jever.de/portal/seiten/fuehrung-willkommen-zur-kaiserkroenung-903000568-20820.html  

Schlossführung Jever: https://www.stadt-jever.de/portal/seiten/fuehrung-durch-das-schloss-903000358-20820.html

Schlossmuseum Jever https://www.schlossmuseum.de

Schlosscafe und Teepavillon Jever https://www.cafe-und-teepavillon.de

Die Blaudruckerei in Jever https://www.blaudruckerei.de

Jever https://www.stadt-jever.de

Daje, ein Leben hinterm Deich, Doris Voss, über Tourismus Krummhorn Greetsiel https://www.greetsiel.de/veranstaltungen-2/historische-ortsfuehrung-daje-ein-leben-hinterm-deich-krummhoern-greetsiel

Greetsiel https://www.greetsiel.de

Marie-Louise Krüger www.kh-stadtfuehrungen-bremen.de

Bremen www.bremen.de

Mitglied im BVGD - Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V. - www.bvgd.org