Vereinsausflug 2022

Vereinsreise 2022 Ost-Harz: Kaiser, Königinnen, Köhler (& Tischler)

Weiterbildung in der Kunst des Führens, Austausch mit örtlichen Kollegen und das Gefühl, als Einzelkämpfer auch Teil eines Ganzen zu sein. Das bringt jedes Jahr das Hamburg Guides Vereinswochenende. Unsere Vereinsfahrt in den Ost-Harz im November 2022 war wieder einmal eine rundum gelungene Reise.

Gerritje Deterding hat alles bis ins kleinste Detail vorbereitet. Malte Mischlich fuhr uns gutgelaunt und sicher im Reisering-Bus durch die Gegend. Naima B. Pasche (aus dem Harz) und Holger Bublitz (Naturführer) teilten ihr Wissen im Bus und auf Führungen am Brocken und in einer Köhlerei. Unsere Bleibe war das Hotel Zum Bär in der Welterbestadt Quedlinburg. Unsere Gastgeber waren Mitglieder des Quedlinburger Gästeführervereins, namentlich Ralf Riediger, Hans-Jürgen Meie, Uwe Mintzlaff, Sybille Rathmann, Regina Peukert, Reinhard Späte und Sabine Houben.

Sportler, Kelten, Ottonen & Hexen

Wir kommen an Schierke vorbei, dem St. Tropez der DDR, wo die Olympische Sprungschanze zwei Länder überbrückte. Der Harz ist dank enormen Niederschlagsmengen Trinkwasserspeicher und Stromlieferant und dient mit vier großen und dutzenden kleineren Talsperren als Überflutungs- und Niedrigwasserschutz. Die Region war Standort mehrerer Kaiserpfalzen (zeitliche Bleiben für Kaiser plus gigantischer Hofhaltung). Die kaiserlichen Ottonen spielen eine prominente Rolle auf unserer Reise. Vor langer Zeit hielten keltische Stämme ihre Tings auf Waldlichtungen ab und läuteten die Eisenzeit ein. Daneben sind Wald und Berge Kulisse für viele spannende Geschichten über Hexen, Riesen und herumirrende Gestalten. Die vielen Fichten, jetzt Grund für das Baumsterben, wurden damals angepflanzt, um als Warnholz in den Stollen zu dienen, wo es bei Einsturzgefahr Laute von sich gab. Dort, wo erst Tannen und danach Fichten gerodet wurden, gibt es Ortsnamen mit -rode.

Blocksberg mit Geräuschkulisse

Der Brocken, oder Blocksberg, ist unsere erste Anlaufstelle. Unser Kollege und Naturführer Holger erzählt uns auf einem kurzen Stopp über dessen Pflanzenreichtum und über die Geschichte, regelmäßig unterbrochen von dem exaltierten Gepfeife der nahen Brockenbahn, die in der Ferne ihren weißen Dampf mit einem wolkigen Himmel vermischt. Auf dieser Höhe sind Buchen angepflanzt, die ursprünglichen Bäume, wie überall im Lande. Tote Bäume liegen umher, um sich mit dem üppigen Niederschlag vollzusaugen und eine Humusdecke zu bilden, die Birke, Eberesche und Buche wiederum auf Trab bringen soll. Wegen der Rehe sind die Birken eingezäunt. Das hier wachsende schmalblättrige Weideröschen hilft gegen Prostatabeschwerden, lernen wir.

Kupferstecher

Einen weniger positiven Beitrag am Weltgeschehen liefert der auch Kupferstecher oder Buchdrucker genannte Borkenkäfer. Holger zeigt uns ein buchstäblich illustratives Beispiel von der Namensgebung. Die Larven fressen sich durch den Baumbast der Fichten. Dieser wehrt sich normalerweise mit vermehrter Harzproduktion, aber schafft das in ausgetrocknetem Zustand nicht. Angesichts der Dichte, in der die Bäume nebeneinanderstehen und der Tatsache, dass ein einziger Borkenkäfer 100.000 Nachkommen hat, macht dies das Leben für Harzer Fichten in heißen Sommern nicht einfach.

Dann hopp wieder eingestiegen und mit quietschenden Reifen nach Quedlinburg, wir sind spät dran.

Rot-weiß-schwarze Welterbestadt

Vorstandsvorsitzender Ralf Riediger und Sabine Houben vom Gästeführerverein Quedlinburg e.V. begrüßen uns auf dem Busparkplatz in der Nähe des Hotels, verzeihen uns unsere verspätete Ankunft und führen uns notgedrungen rasend schnell zum Fachwerkmuseum, während wir aus den Augenwinkeln Fetzen einer wunderschönen Stadt zu Gesicht bekommen. Hier wartet Gästeführer und Tischler Uwe Mintzlaff, um uns in die Geschichte des Fachwerks einzuweihen.

Denkmalschutz durch weiße Fahne

Quedlinburg hat 2000 Fachwerkhäuser aus verschiedenen Epochen und ist auch deshalb als Ganzes UNESCO Welterbestätte. Im 13. Jahrhundert waren die Häuser nicht höher als Tannen (das Fichten-Zeitalter hatte noch nicht angefangen), also acht Meter. In einem Fachwerkhaus stehen zwischen den Tannen-Skeletten die aufeinander gestapelten Fachwerkkisten, verbunden mit Zapfenloch und Schlitz. Die meisten Häuser sind aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Alles ist erhalten, denn – erklärt Uwe Mintzlaff mit einem Augenzwinkern – hier in Quedlinburg war die weiße Fahne immer oben. Uwe ist Stadtführer, Tischler und Restaurateur mit dem Spezialgebiet Fachwerk. Weil Quedlinburg nie zerstört war, bietet die ganze Stadt eine Augenweide von rotem Backstein mit Holz in Knochenfarbe, Schwarz und dem Dunkelrot von Ochsenblut, viele Neidköpfe und Speicher mit grotesk überragenden Dächern. Typisch für das Quedlinburger Fachwerk ist der Diamantschnitt: umgekehrte Dreiecke an den Balken lassen das Wasser abtropfen.

Stil nach Stil nach Stil

Stadtentwicklung zeigt sich an einem sich immer ändernden Stil: während die Quedlinburger Bevölkerung am Ende des 30-jährigen Krieges (1630) auf 300 Köpfe dezimiert war, wuchs sie danach rasant als Hansestadt und die Häuser wurden höher. Im 17. und 18. Jh. wurden Farben monochrom überstrichen und Sandstein hinzugefügt, und um 1900 ließ das rein optische Jugendstil- Fachwerk die Farben wieder explodieren. Im Fachwerkmuseum sind alle Fachwerkstile klar, ausführlich und chronologisch aufgeführt.

Uwe Mintzlaff (mit blauer Mütze) erzählt
Elitäre Damen haben das sagen

Ein Elite-Internat. So könnte man das Quedlinburger Damenstift bezeichnen, romanisch, auch romantisch und vor allem mächtig auf dem Stiftsberg gelegen. Hier befanden sich 900 Jahre lang Mädels aus Adels- und anderen hochangesehenen Familien unter der lehrreichen Obhut der Äbtissin und ihren Nonnen.

Gegründet wurde das Stift von Königin Mathilde, nachdem ihr Gatte König Heinrich I. gestorben war. Der ehemalige Sachsenherzog besiegte die Ungarn und war der erste König innerhalb des karolingischen Reiches und Begründer des ottonischen Kaiserhauses. Womit Mathilde die Urmutter der kaiserlichen Ottonen ist.

Eine  fesselnde Geschichte, unserer Gruppe erzählt von Hans-Jürgen Meie, die andere Gruppe war mit Sybille Rathmann unterwegs. Königin und Äbtissin Mathilde war eine tüchtige Geschäftsfrau und verknüpfte weltliche und geistliche Macht in ihrem Stift. Die Mädchen wurden zwischen ihren 7. und 14. Lebensjahr in handfesten Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Latein unterrichtet.

Hans-Jürgen Meie und Sybille Rathmann
Marie Aurora von Königsmarck

Berühmte Namen waren immer mit dem Stift verbunden, wie die von Pröpstin (Vertreterin der Äbtissin) Marie Aurora von Königsmarck, berühmte Dichterin, Mätresse von August dem Starken und bei uns im Norden bekannt durch Schloss Agathenburg in Stade. Das Stift war sehr wohlhabend, weil es das Zollrecht besaß und wegen der Hinterlassenschaften der ehemaligen Schülerinnen. Ein richtiger Machtfaktor in Sachsen.

Marie-Aurora von Königsmarck
Die mysteriöse Katharina

Wir besuchen auch die Krypta der Stiftskirche mit dem mittelalterlichen Domschatz, unter anderem eine riesige Reliquiensammlung, ein von König Heinrich aus dem Heiligen Land selbst mitgebrachter Nagel aus dem Kreuz Christi und eine Marienkrone besetzt mit Süßwasserperlen aus der Oker. Ein Teil des Schatzes machte schon einmal mit einem Mitglied der amerikanischen Besatzungsmacht einen illegalen Ausflug in die USA, ist aber mittlerweile wieder dorthin zurückgekehrt, wo er hingehört. Der Schrein der heiligen Katharina, auch ein Teil des Domschatzes, kann nicht geöffnet werden, womit Quedlinburg mit Hamburg (Störtebekers Schatz) ein Mysterium rund um die heilige Katharina gemeinsam hat.

Lust & Saat

Die Lust- und Gemüsegärten des Stiftes, seit dem 10. Jahrhundert gut gepflegt, wurden ab dem 17. Jahrhundert ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Quedlinburg: die Stadt wurde dank der Saatveredlung des Stiftes und der Unmengen an Niederschlag hier östlich der Harzer Berge, zu einem der größten Saatgutlieferanten in ganz Deutschland. Bis zu vierzig Wagons täglich fuhren im 19. Jahrhundert zum Hafen. Für die Arbeiterinnen aus Schlesien, die Schnittermädchen, wurde eine eigene Kirche errichtet.

Rot, Rot, noch mehr Rot

Als wir danach wieder draußen an der Brüstung vor dem Damenstift stehen, ragen unten der Schreckensturm und viele Kirchen, zwischen sehr viel Rotem empor. Hier blickt man auf das am besten erhaltene mittelalterliche Stadtbild Deutschlands.

Auf der Mauer ein kleines Gedenke-Kunstwerk für Kunsthistoriker Gottfried Kiesow, der, laut unserer Gastgeber, unglaublich viel getan hat, damit dieses Unikat an mittelalterlicher Geschichte bewahrt wurde.

Nachtwächter

Nachdem wir in kleineren Gruppen unser Abendessen genossen haben, lernen wir die Stadt im Dunkeln auf einem Nachtwächterrundgang mit Regina Peukert und Reinhard Späte kennen. Nach dem Singen des Nachtwächterliedes geht eine finstere Erkundung durch die Fachwerkgassen los, wo die Gerberknechte Urin sammelten, um das Leder zu bändigen, wo Taubendreck gerührt wurde und zu großer Schönheit an den Balken der Häuser aufblühte und Schreckensturm und Verlies die Unterschicht zu Gehorsam mahnten. Auch ein Gang durch die Hölle bleibt uns nicht erspart.

Von Quedlinburg nach Altona

‚Unser‘ Altonaer Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock ist in Quedlinburg geboren. Sein Vater war Justiziar des Damenstiftes, und des Dichters Geburtshaus ist jetzt das Klopstock-Museum. Unsere Quedlinburger Kollegen verbrachten unter anderem schon ein Wochenende auf seinen Spuren in Hamburg. Am Samstagmorgen unterwegs im Bus erzählt Hamburg Guide und Literaturwissenschaftler A. Martin Steffe über Klopstock, auch bekannt durch sein Heldenepos „Der Messias“ und in Frieden ruhend bei unserer Christuskirche in Altona. Der imponierende und sportliche Mann dichtete neben komplizierten Alexandrinern auch einfache Gedichte. Er schrieb gut zwanzig Bücher, war bekannt und wurde zitiert in „Das Leiden des jungen Werthers“ von dem ebenso dem Harz verbundenen Goethe. Im Gegensatz zu Goethe wurde Klopstock allerdings vom großen Publikum vergessen.

Köhlerei

Und dann sind wir schon bei dem schwellenden Meiler der Köhlerei Stemberg. Wir laufen vorbei an so einem vor sich hinbrütenden Erdhügel, in dessen Inneren Holz langsam zu Holzkohle wird. Wir hören von Naima, wie arbeitsintensiv dieses traditionelle Handwerk ist. Köhlereien entstanden, weil große Hitze benötigt wurde, um Silber aus dem Gestein zu schmelzen.  Ab dem 18. Jh. wurde dies mit Steinkohle gemacht. Aber auch heutzutage ist Holzkohle nicht nur zum Grillen gefragt, sondern wird auch für Bremsscheiben in Autos, Schießpulver und gegen Durchfall verwendet. Alter Ruß auf und in vielen Sandwegen im Harz verrät den Lauf der alten Kohlestraßen.

Stabkirche Stiege

Was macht eine Stabkirche mitten im Harz? Und so wunderschön erhalten? Das erklärt uns Regina Nowolski auf unserer nächsten Station in Stiege. Nowolski ist selbst bei der Rettung dieser hölzernen Kirche involviert gewesen, 100 % auf dem Laufenden mit der Entstehungsgeschichte und sehr engagiert. Die Kirche wurde im Mai 1905 eingeweiht, für Patientinnen, Patienten und Personal der hiesigen Lungenheilanstalt. Sie ist ähnlich wie die norwegischen Stabkirchen mit Drachenköpfen verziert, ist aber mit horizontalen statt vertikalen Brettern gebaut und hat keinen Umlauf.

Kaiserlicher Skandinavienfan

Es gab in dieser Zeit eine kleine Welle von Holzbau in Deutschland, entstanden, weil Kaiser Wilhelm II überaus begeistert von Norwegen war. Bis zur Wende wurde die Kirche benutzt, danach kam der Verfall. Als dann 2013 das Hauptgebäude der Lungenheilanstalt in Flammen aufging und man der Kirche ein gleiches Schicksal ersparen wollte, wurden Anwohner aktiv und gründeten einen Verein zur Rettung der Kirche. Weil alle Bohlen gekennzeichnet und die Bauzeichnungen erhalten waren, gelang es dem Verein, nach Jahren harter Arbeit und mit Spendensammlungen, die Kirche in voller Pracht an einem neuen Standort zu errichten. Seit Mai 2022 ist die Kirche Kulisse für kulturelle Ereignisse. Sie ist zwar nicht geweiht, aber es wird auch getauft und geheiratet, musiziert und es gibt natürlich Führungen.

Rosstrappe

Unterwegs nach Schloss Stolberg hören wir vor einer Kulisse von Fichten und unzähligen Fachwerkhäusern die spannende Geschichte des verliebten Riesen Bodo und der Jungfrau Brunhilde, deren Pferd einen mächtigen Hufabdruck in der Landschaft hinterlassen hat: die Rosstrappe! Zusammen mit Graf Botho dem Dritten, den wir gleich in Schloss Stolberg kennenlernen werden und unserem eigenen Hamburg Guide mit Harz-Wurzeln Bodo macht das drei. Klar, dass wir es hier mit einem Harzer Ur-Namen zu tun haben.

Schloss Stolberg

Eine wohlbekleidete Kammerzofe, Sofia von Habenichts (Elke Franke), begrüßt uns stilvoll und passend zur Einrichtung des Schlosses. Verschmitzt und lustig erzählt sie uns über die Geschichte des Schlosses Stolberg mit seiner besonderen Schlosskapelle und anderen prächtigen barocken Räumlichkeiten, seine rauschenden Feste und traurigen Kriegsgeschichten. Sie war nah dran, das merkt man gleich.

Vader des Vaderlands

Die Herzen der beiden Niederländerinnen in der Gruppe machen einen kleinen Sprung in dem Geburtshaus ihres „Vaters des Vaterlandes“ Wilhelm van Oranje. Der Namensgeber der niederländischen Nationalhymne „Wilhelmus“ wuchs hier im Schloss mit seinen 16 Geschwistern auf.  Auch seine Mutter Juliana wurde im Schloss geboren, wie auch seine Tante Anna zu Stolberg, die 50 Jahre lang Äbtissin des Quedlinburger Damenstiftes war. König Willem-Alexanders Großmutter, Königin Juliana, wurde nach Juliana von Stolberg benannt.

Juliana von Stolberg
Schwert zum Tortenheber

Annas Wappen war das Meißener Schwert, das in ihrer Zeit scharf war, aber später abgerundet wurde zu einem Tortenheber. Und das, obwohl sie eine scharfe und scharfsinnige Regentin war, schon mit 13 Jahren Äbtissin wurde und verantwortlich für die Reformation in der Region war.  Ihre Schwestern genossen ihre hochwertige Ausbildung ebenfalls in Quedlinburg, während die Jungs weniger moderne Tätigkeiten wie Reiten und Jagen lernten. Einer der Stolbergsöhne ging bei Luther in die Lehre.

Schloss zum Ferienheim

Obwohl es von den Amerikanern befreit wurde, wurde Stolberg nach dem 2. Weltkrieg Teil der russischen Besatzungszone. Das Schloss wurde zum Ferienheim. Nach der Wende zerfiel es. Ein hessischer Handwerksmeister kaufte es, dann kam, wie auch in Quedlinburg, der Denkmalschutz und das Schloss wurde saniert. Ein Schlosshotel wird demnächst neben dem Schloss auf den Berg thronen.

Münzen im Gurt

Nach der Führung steigen wir, für ein gemütliches Mittagessen im Gasthaus Kupfer, ab ins Städtchen im Tal. Danach wieder von Stolberg nach Quedlinburg, wo uns Hans-Jürgen Meie zu einer Führung auf den Münzenberg erwartet, für die wir uns passend bei der Statue der Münzenberger Musiker vor unserem Hotel sammeln. Auf dem Münzenberg war bis zur Reformation ein Benediktinerkloster. Nach der Auflösung lagerte das fahrende Volk in den Wintermonaten auf dem Berg, mit Münzen im Gurt.

Wartekollektiv mit Wasser

Kollege Meie wohnte nicht hier, aber spielte als Kind auf den Münzenberg, wo es keine Wasserleitungen gab, aber Hähne an den Straßen waren. Abwasser wurde mit offenen Leitungen bergab gespült, wo es unten am ‚Wartekollektiv‘ beim Bäcker vorbei rauschte. Jetzt ist ein malerisches Fachwerkviertel auf den Berg zu bewundern, mit Wasserleitungen mittlerweile aber: ohne private Kellerräume.

Die verborgene Krypta

Diese Räume sind nämlich, dank des Ehepaar Behrens, und dank der Bewohner des Münzenberges, zu ihrem Original zusammengefügt worden: der Krypta der ehemaligen Basilika St. Marien aus dem Jahr 986.  Der Kirchenbau wurde veranlasst von Königin Mathilde und ihrer Schwägerin, der Byzantinischen Prinzessin Theophane, Ehefrau des Otto II. Professor Behrens und seine Frau ließen sich auf den Berg nieder und nahmen die Wiederherstellung der Krypta erfolgreich als privates Projekt in die Hand. Ihre Nachbarn gaben nach Verhandlungen ihre Keller ab, und jetzt befindet sich dort eine riesige, romanische Krypta.

Jeder seine Leiche

Wir werden herumgeführt, es ist Abend, die Steine sind warmbeige, die gotischen Kreuzgewölbe behüten uns und weil es eine Krypta ist, ist es das Reich der Toten: wir sehen drei Skelette schön erhalten in ihren in den Stein gehauenen Gräbern und es sind nicht die Einzigen: „Jeder Münzenberger hat seine eigene Leiche unter dem Haus“, stellt Hans-Jürgen Meie fest. Auch etwas zum Nachdenken für die Hamburger.

Ach, wäre ich ein Pflasterstein…

Die Anlage liegt, wie zwei weitere Kirchen in Quedlinburg an der Straße der Romanik. Wir laufen im Dunkeln zurück durch die Gassen Quedlinburgs, über holprige Wurfsteine. Ganz schön rustikal. Als in den 70er Jahren diese Steine plötzlich im Straßenbild auftauchten, fand das nicht jeder schön, sicherlich nicht, weil dort vorher bequemeres Kopfsteinpflaster lag.  Der ursprüngliche Straßenbelag, so zeigte es sich, wurde an die BRD verkauft. Wenn man Lüneburg besucht, kann es sein, dass man über originales Quedlinburger Kopfsteinpflaster spaziert (auch ein lustiges Ausflugsziel für unsere Kollegen). So entstand damals in der Fachwerkstadt der schöne Reim „Ach wäre ich doch ein Pflasterstein, könnte ich schon längst im Westen sein…“
Knüttefurzbier und Klippenschieter in Kneipen am Wegesrand zeugen davon, dass wir uns zwar an der südlichen Kante, aber im norddeutschen Sprachgebiet befinden.

Stadtbilderklärer

Beim Abendessen im Hotel treffen wir die Kollegen des Quedlinburger Gästeführervereins wieder, die teilweise als Stadtbilderklärer ausgebildet wurden, das DDR-Wort für Gästeführer. Der Verein wurde nach der Wende gegründet, und die Mitglieder arbeiten viel über das Quedlinburger Tourismusbüro, wo man ihre Touren auch buchen kann. Und mit allen Geschichten von diesen Tagen über Kaiser und Fachwerk sind eigentlich die Zeitzeugen-Geschichten aus der Zeit der Wende am interessantesten. Ein bestimmter schwarzer Humor ist unseren Gastgebern dabei nicht fremd. Des Weiteren sind sie unermüdlich. Nach dem Essen kommt der Vorschlag, noch zur Sternwarte zu gehen. Yes! Eine große Gruppe macht sich bereit für einen spätabendlichen Spaziergang mit Uwe Mintzlaff, der Restaurateur und Tischler, der uns gestern auch in und um das Fachwerkmuseum begleitete.

Sterne schnuppern mit Honecker

Er hat uns etwas Aktuelles zu zeigen: die Sternwarte in Quedlinburg. In der ehemaligen DDR hatten alle Gymnasien Astronomie als Schulfach, und zwar auf Wunsch Margarethe Honeckers.  Auch damit war nach der Wende Schluss. Wie schade! Eine Gruppe Astronomie-affiner Quedlinburger tat sich zusammen und wusste über ihr Netzwerk ein Teleskop aus einem Gymnasium und von der Stadt für 1 Euro ein leerstehendes Wasserwerk mit Schieberturm aus dem Jahre 1900 zu ergattern.

Reiten auf Heinrichs Turnierfeld

Wir bekommen einen Rundgang in einem extrem sauberen und rechteckigen steinernen Gebäude. Bis 2010 stand das Wasser in der Halle, in der wir uns befinden, bis auf 6 Meter Höhe zwischen den hellgelben Backsteinwänden. Jetzt wird die Halle demnächst für kulturelle Zwecke genutzt werden. Auf dem Dach ist das Teleskop installiert mit einem wunderschönen Holzaufbau aus Tischlermeisterhand. Hier werden Schüler über den Sternenhimmel Quedlinburgs unterrichtet. Vom Turm aus hat man Ausblick auf das ehemalige Turnierfeld von Heinrich I. Jetzt, tausend Jahre später an einem lauwarmen Novemberabend hören wir, dass es hier wieder Rosse gibt, das Feld ist jetzt ein Reitplatz. Auf den Rückweg machen einige noch einen Abstecher für den lokalen Schnaps ‚Schierker Feuerstein‘. Dann heißt es schlafen und früh aufstehen für Goslar und mehr UNESCO Weltkulturerbe.

Vielseitiges Goslar

„Goslar; wo Kaiser ihr Herz verlieren“ ist das Motto in Goslar und von unserer Gästeführerin Ute Pötig.  Wasser, zwei sich kreuzende Handelswege und Berge voller kostbarer Rohstoffe bewirken, dass Goslar schon im Jahre 922 schriftlich erwähnt wird. Kupfer wird hier bereits seit 3000 Jahren aus dem Boden geholt. In Goslar weilten die Römischen Kaiser mit ihrer riesigen Hofhaltung. Mitte des 14. Jahrhunderts kam die Stadt in die Hand der bekannten Adelsfamilie der Welfen. Wie Hamburg war Goslar reichsfreie Stadt und evangelisch seit dem Jahre 1528. Ab dem 17. Jahrhundert ging es bergab mit der Wohlfahrt, bis Goslar Ende des 19. Jh. Kurort wurde und der Tourismus seinen Einzug hielt.

Wärmedämmung mit Schiefer

Im Harz wurde nicht nur Metall, sondern auch Schiefer abgebaut, das sieht man an den Häusern, die klimatechnisch gut ausgerüstet sind mit den isolierenden und kühlenden Steinen an der Wand. Heutzutage kommt Schiefer in Deutschland aus China. Während unserer lehrreichen Tour mit Ute folgt uns immer das Flüsschen Gose, auch Namensgeber des schmackhaften hellen Biers mit Koreander. In Goslar gibt es prachtvolle Beispiele von romanischen, gotischen und Renaissance- Baustilen. Wir besuchen das Heilige Kreuzhospital aus dem 13. Jh. mit den uralten Nischen für Hab und Gut der Kranken. Im Zinnfigurenmuseum ist auch viel Ottonisches zu sehen, und die alte Lohmühle ist beeindruckend mit ihrem Stampfwerk, mit welchem das Leder weich gestampft wurde.

Im prächtigen Rathaus ist ein Welterbezentrum eingerichtet. Hier wohnt man zwar nicht, aber läuft über die Toten im alten Beinhaus im Keller.

Rundgang mit analogem Bild

Wie sah so eine Pfalz, zeitlicher Wohnsitz des Kaisers, eigentlich aus? Diese Frage beantwortet sich nach dem Mittagessen auf einer Führung durch die größte Toranlage Deutschlands, Goslars Kaiserpfalz. Kurzweilig erzählt Ute Pötig in dem riesigen Bauwerk aus dem Jahr 1009, über die Wohnumstände im Palast, der von Heinrich III. gebaut wurde und wo Heinrich IV. (der Canossagänger) geboren wurde. Ab 1273 gab es hier keinen Kaiser mehr, die Habsburger hatten das Zepter übernommen. In dem großen Saal des Palasts ist Ende des 19. Jh.  der ganze Werdegang der Mächte Deutschlands auf dutzende Meter langen Gemälden illustriert worden. Ute erklärt es uns mit visueller Untermalung: besser geht‘s nicht. 

Herz verloren

„Wo Kaiser ihr Herz verlieren“, war der Slogan. In der Pfalzkapelle, oktogonal wie die Kaiserkrone, liegt das von Heinrich III., in Öl und Honig konserviert, „wie Bernstein“, laut Ute, aber leider unsichtbar in einem Sarkophag. Draußen beeindruckt das nationale Kriegsheimkehrer-Denkmal „Rückkehr der 10.000“. Und dann geht es zurück nach Hamburg.

Alle Teilnehmer rekapitulieren ihre Eindrücke von der Reise durch das Mikro im Bus; eine schöne Idee unserer Reiseleiterin. Quedlinburg hat uns sehr beglückt, und viele Eindrücke werden geteilt. Gerritje Deterding hat schon angefangen, die nächste Fortbildungsreise vorzubereiten, nach Berlin im November 2023. Das ist ja wieder sehr bequem und wird bestimmt auch wieder schön, gesellig und lehrreich. Kommt alle mit in unserem 10-jährigen Jubiläumsjahr! Es lohnt sich.

Links & Adressen, chronologisch

Hamburg Guides
www.hamburgguides.de

Holger Bublitz Naturführungen
www.blitz-naturerlebnis.de

Gerritje Deterding
www.gdincentives.de

Gästeführer Quedlinburg

Gästeführerverein Quedlinburg e.V.
https://quedlinburg-gaestefuehrer.de/

Für direkte Buchungen und offene Führungen:
Quedlinburg Information (weißes „i“ auf rotem Grund, nicht den Nachbarn)  https://www.quedlinburg-info.de/de/fuehrungen.html. In diesem Jahr besonders interessant wegen Festivitäten und Führungen rundum das 1050. Todesjahr Otto I des Großen (912-973).

Gästeführer /-innen Ralf Riediger (Vorsitzende), Sybille Rathmann (Stellvertretende Vorsitzende) Sabine Houben und Uwe Mintzlaff stehen mit ihren Rundgängen und Kontaktdaten auf
https://quedlinburg-gaestefuehrer.de/gaestefuehrer

Gästeführer Hans-Jürgen Meie:
http://www.stiftshauptmann.de

Quedlinburg

https://www.quedlinburg.de

http://www.die-strasse-der-romanik.de

https://www.klosterkirche-muenzenberg.de

Klopstock in Altona

Über den in Quedlinburg geborenen Klopstock hat Ralf Riediger ein schönes Handout aufgestellt, das freundlicherweise über unsere Vereinsdropbox verfügbar ist.

Köhlerei Stemberg

http://www.harzkoehlerei.de 

Verein Stabkirche Stiege

https://www.stabkirche-stiege.de/stabkirche.html

Schloss Stolberg

Gästeführerin Sophie von Habenichts (Elke Franke) https://buchen.proharztours.de/ueber-uns/

Stolberg & Schloss: https://www.stadt-stolberg.de/tourismus#kultur_tourismus

Goslar

https://www.goslar.de/tourismus

Gästeführerin Urte Pötig, Vorsitzende Stadtführergilde Goslar, über https://stadtfuehrergilde-goslar.de/

Text: Anne Hottenhuis, Korrektur: Angelika Franke
Bild: Anja Reimers, Robert Jasiak, Gerritje Deterding, Anne Hottenhuis

Mitglied im BVGD - Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V. - www.bvgd.org